Eine Begegnung im Dschungel

Der Abend tröstet, erzählt er doch so wahr vom Leben.

Es ist dunkel geworden. Das Flussufer vor mir leuchtet hell. Erstaunlich, wieviel Licht die ausgewaschenen Kieselsteine abgeben, denke ich. Die Szenerie gleicht der einer Sicht unter Restlichtverstärker.

Auch der Fluss ist merkwürdig leise. Vor ein paar Momenten hat er noch den nächtlichen Dschungel übertönt. Nun ist er ein leichtes Rauschen in einer leisen Umgebung. Einige Hütten stehen auf der Lichtung. Unbeleuchtet. Unbewohnt? Ich denke noch kurz darüber nach und mache mich auf meinen weiteren Weg. Dieser gabelt sich gerade vor mir in fünf verschiedene Richtungen auf.

Ich muss nur den richtigen Weg treffen, denke ich. Ich wähle den mittleren Weg, als plötzlich ein Mann am Flussufer steht.

Irgendwie wirkt er etwas ratlos, nicht aufgeregt und blickt über den Fluss auf die andere Seite. So, als würde er dort etwas suchen. Ich beobachte ihn für eine kleine Weile, dann dreht er sich um und kommt mit bestimmten Schritt näher. Fast so, als würde er mir einen Hinweis für meinen weiteren Weg geben können.

I’ve come a long way

Der Tag auf dem Fahrrad war lang gewesen. Ich bin schon früh los, da ich Zeit für eine alternative Strecke gewinnen wollte. Nach fünfzig Kilometern habe ich mich dann für diese Alternative entschieden. Sie hatte mich durch kleine, unscheinbare Ansammlungen von Häusern geführt, die niemals auf einer Karte verzeichnet werden.

Schnell war der Asphalt einer Schotterpiste gewichen. Die letzten zwanzig Kilometer führten abenteuerlich durch Bäche und über Bambusbrücken. Der Dschungel wurde immer dichter und mein Weg immer schmaler. War dies eventuell doch eine Sackgasse? Mit dem Einbrechen der Dunkelheit sollte ich nun diese letzte Flussüberquerung meistern. Ohne Brücke, ohne Hinweis auf den richtigen Pfad.

Die Situation war nicht bedrohlich, ich war eher überrascht, hier noch jemanden zu treffen. Und mit jedem Schritt, den dieser Fremde näher kam, wurde mir bewusst, das keine Gefahr von ihm ausging. Es war fast wie ein Wiedersehen mit einem guten Freund.

Und doch erschrak ich etwas, denn diesen Mann kannte ich gut. Dieser Mann am Flussufer war ich selber.

Der Verstand kehrt zurück, doch du setzt ihn nicht ein

Das Verwunderliche an dieser Situation ist die Präsenz, mit der sich dieses Erlebnis hält. Die Situation heute noch nah und kann mich an viele Details erinnern. Ich musste für einen Moment über mich selber lachen, haben mir hier meine Gedanken einen Streich gespielt?

Im Nachhinein kann ich noch nicht einmal genau sagen, ob ich wirklich an das Flussufer gegangen bin, um den Weg auf der anderen Seite wiederzufinden. Es spielt auch keine Rolle. Es ist nur der Moment, der so besonders sind.

Der Moment, umrahmt von Abenteuern, in dem du dich selber beobachtest.
Der Moment, in dem du deinen Verstand ausschaltest und komplett frei bist.
Der Moment, in dem du nicht auf dieser Welt bist.

Nun betrachte ich diese Erfahrung als absolut friedlich, positiv, still und leuchtend. Alles wirkt auf dich wie durch einen Filter. Die Geräusche sind gedämmt, das Licht invertiert und strahlt merkwürdig. Eine grosse Gelassenheit, ja fast eine Freude durchströmt dich. Du fühlst keine Gefahr, hast keine Angst und bist nur ruhig. Ein seliges Beobachten und Bewusst-Sein.

Es gibt genug Beispiele für gleichartige Situationen. Bergsteiger, die für sich und einen nicht vorhandenen Begleiter Tee kochen. Alleinsegler, die mit sich Diskussionen führen. Mönche, die sich beim Meditieren beobachten. In jedem Fall können sich die Personen anschliessend an jedes Detail erinnern. Ein komplettes Ausschalten des Verstandes.

Das eigentlich Schöne an diesen Momenten ist das Empfinden von purem Glück.

Und ja, …

… der erste gewählte Weg über den Fluss war der richtige.