Die Durchquerung von Südostasien

Vietnam

Die Ankunft ist unspektakulär. Es ist einfach niemand da. Das Meer interessiert sich so oder so nicht für mich. Grau und ein bischen verlassen fügt es sich in die Umgebung ein. Hier also ist das Finale einer Radtour, die am bengalischen Golf begonnen wurde und mich durch Myanmar, Thailand, Laos und Vietnam bis zum südchinesischen Meer führte.

Ich bin angekommen und stehe am Strand von Cua Lo. Von hier aus geht es nur noch mit dem Boot in Richtung Osten weiter. Und ein bischen stellt sich das Gefühl vom Ankommen ein. Es ist eher ein melancholischer Moment, denn etwas wurde fertiggestellt. Und so passt die Gefühlslage in die Monotonie der Landschaft.

Rübergemacht

Es ist gerade zwei Tage her, da bin ich von Laos über Cau Tre nach Vietnam eingereist. War der laotische Grenzposten noch eher verschlafen und recht dezent auf der Passhöhe eingebettet, so erwartete mich auf vietnamesischer Seite die volle Pracht kommunistischer Betonbaukunst. Ein riesiges Ufo, dessen einzige Aufgabe bestand, protzig die vietnamesischen Machtverhältnisse zu dokumentieren. Nach dem ich endlich den zuständigen Grenzbeamten in dem Ufo gefunden hatte, ihn darüber aufgeklärt hatte, kein Visum zu benötigen und den obligatorischen Dollar Stempelgebühr entrichtet hatte, konnte ich mich auf eine zwanzig Kilometer lange Abfahrt freuen.

Die Strassen in Vietnam sind nicht immer in guten Zustand und als Fahrradfahrer bist du Studentenfutter für die unzähligen motorisierten Grosstransporter. So suche ich mir einen Weg durch das Hinterland nach Vinh.

Stehengebliebene Zeit

Landwirtschaft, kein Schwerlastverkehr und eine direkte Nähe zu den Menschen der Region zeichnet die Fahrt über das Hinterland aus. Auch wenn hier nur sehr wenige Leute Englisch sprechen, spricht die Herzlichkeit aus den Augen der Menschen. Und hinter dem Mundschutz, der obligatorisch ist, lässt sich so manches Lächeln erahnen. Nach einem Tag abseits der grossen Strassen und Städte taucht dann in der Abenddämmerung Vinh vor mir auf.

Vinh

Myriaden von Mopedfahrern flüchten gerade aus der Stadt. Es scheint fast, als verbleiben nur noch Touristen über Nacht. Auf Ihrer Flucht wirbeln sie soviel Staub auf, daß die Hochhäuser und Türme aus der Ferne nur zu erahnen sind. So stelle ich mir die smogbelasteten Städte in China vor. Von Feinstaubbelastung hat hier noch nie jemand etwas gehört. Und dann erreiche ich diese Stadt, von der ich vorher noch nichts gehört habe und auch bis heute noch nicht weiß, was sie eigentlich auszeichnet. Eine Grossstadt, inmitten in Staub gelegen und mit unzähligen Hotelburgen ausgestattet, als wäre sie zentraler Anlaufpunkt für irgendetwas. Die Plätze der Revolution sind leergefegt und gut bewacht. Die Viertel rund um die zentrale Hauptstrasse sind abends nahezu unbewohnt. Nur vereinzelt huscht etwas durch den abgestellten Müll. Dabei ist Vinh sehr modern. Westliche Esskultur und Shopping-Malls finden sich hier genauso wie unzählige Banken und Industrieanlagen. Aber die Stadt bewahrt ihr Geheimnis gut.

Es ist nicht weit von hier bis ans Meer. Hier zeichnet die Nebensaison ihre Spuren. Leere Strassen entlang der Küste, leere Plätze und unzählige, auf Kundschaft wartetende Restaurants. Irgendwie melancholisch und irgendwie leblos grau – dieser Ort am Meer.

Und so mache ich mich auf nach Hanoi, in Hoffnung auf ein nettes Wiedersehen.

Nur drei Jahre

Es ist gerade drei Jahre her, seit dem mich Hanoi mit dem Flair der vietnamesischen Lebensart, gepaart mit kommunistischen Überbleibseln, gewonnen hat. Da Erwartungen immer enttäuscht werden, bin ich froh, auch diesmal nicht allzu hohe Erwartungen gehabt zu haben. Denn, so scheint es, unterliegt nahezu jede Stadt und jedes Land im ostasiatischen Raum einem Veränderungsprozess.

Ein Prozess, hauptsächlich von Touristen, Reisenden und Urlaubern getrieben, welcher die Eigenart hat, den Charme und das Flair der Eigentümlichkeit zu vertreiben. Es bleiben Austauschbarkeit, Kommerz und die ständige Verfügbarkeit von allem und jedem.

Und auch Hanoi ist diesem Prozess nicht entkommen. Viel befahrene Strassen weichen in den Abendstunden einem Nachtmarkt, der eher die Bezeichnung Kirmes verdient. Überschwemmt mit chinesischen Plastikartikeln, wegversperrend und laut ist die Gegend um den Hoa Chiem See. Horden von Kaufsüchtigen, laufende Tütensuppen und unglaublich viel Oberflächlichkeit verdrängen die heiratswilligen Paare, welche sich noch zum fotografieren hier getroffen haben. Auch die kleinen Händler und die einsamen Senioren, welche sich hier zum Austausch mit den Reisenden getroffen haben, sind verschwunden.

Ich bin noch keine hundert Meter gegangen und ich habe schon die ersten Massageangebote mit „Happy Ending“ von mopedfahrenden Verkäufern. The times they are a changing.

Die Zukunft wartet nicht.

Und so verbleibe ich den Rest der Zeit in Hanoi in den Vororten auf der Suche nach der vergangenen Originalität dieser Stadt und weiss doch schon längst, sie nie mehr zu finden.

Und doch – ab und zu blitzt die Herzlichkeit in einem Lächeln auf, findet sich die Mystik in einem Tempelgesang oder schlägt der Puls der Stadt in den Tausenden auf Grünlicht wartenden Mopedfahrern. So ganz lässt sich die Vergangenheit dann doch nicht unterkriegen. Und ich tauche wieder ein in diesen Strom der Mopedfahrer und in diesen Verkehr, welcher nie endet und scheinbar ziellos ist und geniesse die letzten Stunden in diesem Fluß.

Es geht um Geduld und Gelassenheit und das Mittendrinsein. Und vom Ankommen.