Myanmar und der Wandel
Am Ende ist es eine Flucht. Wild hetzt mein Taxifahrer durch die vollkommen überfüllten Strassen von Yangoon, da er meine Sorgenfalten über den zu drohenden verpassten Flug sieht. Letztendlich wird es reichen, aber das Bild spricht Bände. Getrieben und machtlos ist dieses Land Myanmar dem Fortschritt ausgesetzt. Und dieses Wachstum sollte doch zum Wohlstand für viele genügen. Aber letzendlich werden die, die immer an der Macht waren, an der Macht bleiben.
Nur diejenigen, die vorher nichts zu verlieren hatten, verlieren jetzt noch ihre Identität. Es war das Bild von lachenden, freundlichen, ihrer Armut trotzenden Menschen welches ich mitgenommen habe. Von Höflichkeit, wo sie nicht erwartet wird. Von einem Religionsbild des Buddhismus, welcher den Alltag bestimmt, welcher für das einfache Volk da ist. Friedfertigkeit, Genügsamkeit, Bescheidenheit und Neugier zeichneten dieses Land aus.
Zwei Jahre und sechs Monate ist es her, seit ich zum letzten Mal dieses wunderbare Land bereisen durfte. Nach dem ersten Besuch war ich fasziniert von den Eigenschaften der Menschen, zu dem sich noch eine gewisse Mystik und der Hauch der Geschichte paarte. Auf diesem Level würde das Land nicht verbleiben, die Frage war nur, wie lange würde der Wandel brauchen. Schon ein Jahr später zeigten sich erste Veränderungen, aber vieles war noch unverfälscht. Und nach weiteren zweieinhalb Jahren kann ich sagen:
Es ist soweit.
Myanmar unterscheidet sich in vielen Belangen nicht mehr von anderen asiatischen Reiseländern. Immer noch interessant und lohnenswert in seinen Attraktionen, der Exotik seiner Volksgruppen und dem Abenteuer einer Soloreise. Aber das „Zwischendrin“, die Identität und die Mystik ist verflogen.
Es beginnt damit, dass du als reisender Westlicher selbst in den nicht so touristischen Hochburgen nicht mehr als Exot wahrgenommen wirst. Die Menschen zeigen nicht mehr mit grossen Augen auf dich. Kinder bringen nur noch mühsam ihr mingalabar über die Lippen. Freundlichkeit und ein Lächeln werden nur mühsam geerntet, der reine Blickkontakt reicht nicht mehr.
„Die Mönche in diesem Land lachen nicht“ sagt ein Franzose am Mittagstisch. Er hat recht. Und ich meine, fast einen Grund zu kennen. Wenn du nur noch als Fotoobjekt gefragt bist, tritt irgendwann die Ernüchterung ein. Ich habe mich vor zwei Jahren viel mit Mönchen unterhalten und das Gespräch, die Unterhaltung und die gegenseitige Neugier stand im Vordergrund. Oft habe ich von diesen Menschen keine Portraits angefertigt, weil das Gespräch wertvoller war als das blosse Schiessen einer Erinnerung. Und als ob mich die Vermutung bestätigen würde, sehe ich Reisegruppen von Japanern, behangen mit zwei oder drei Spiegelreflexkameras nebst Optiken, die locker das Lebensgehalt eines Mönchen erreichen. Wie zur Exekution werden zwei Objektmönche vom Reiseleiter hin und hergestossen, bis sich der digitale Rausch in einer Klickorgie über die armen Opfer ergiesst. So als Objekt degradiert, finden sie sich weniger als Gesprächspartner und wenn, treten Sie im Schutz der Gruppe und im schnellen Schritt auf.
Oder aber das Individuum arbeitet mit der Möglichkeit. So spricht mich ein Mönch ganz direkt an, ich möge doch ein Foto von ihm machen. Seinem Wunsch komme ich nach, um anschliessend seine Englischkenntnisse zu erfahren. Wandolla. Ich bin zu perplex um es beim ersten Male zu verstehen. Vor mir steht ein Geistlicher, der tatsächlich seinen Preis fordert. Wandolla.
Ist dies der Preis, den wir mit dem Einzug des Tourismus in entlegene Regionen bezahlen? Kommerz, Materialität und Verlust von Identität?
Es sind Kleinigkeiten, die Myanmar so gewöhnlich gemacht haben. Ein weiteres Beispiel bietet der entlegene Ort Hpa-An. Er ähnelt landschaftlich mit seinen Reisfeldern und Karstbergen Vang Vieng und wurde in den vergangenen Jahren immer mehr zum Ziel von Travellern. Mit der Folge, dass mit dem Anstieg der Bekanntheit vermehrt Reisegruppen Hpa-An anfahren. Die Infrastruktur in Form von geeigneten Unterkünften fehlte und der dadurch entstandene Platzmangel wurde durch Landenteignungen der ärmeren Bevölkerung umgangen. Überhaupt sind die von Regierungshand aufgebauten Hotelketten und Gasthäuser immer bezahlbarer geworden und im Komfort wesentlich besser als die einfachen Gasthäuser, die dadurch natürlich ums Überleben kämpfen. Dies wiederum hat zur Folge, daß mehr Finanzmittel in bestimmte Kreise gespült werden, die sich nun eine grosse Scheibe vom Tourismuskuchen abschneiden.
Es ist die ungerechte Verteilung und die sich öffnende Schere zwischen Armut und Reichtum, die immer deutlicher wird. Und als budgetbedachter Soloreisender bist du nicht unbedingt erwünscht. Fast scheint es, zunächst werden erst die Pauschal- und Gruppenreisen und gut bezahlenden Komforttouristen gemolken, bis jeder seine Runden in diesem Land gedreht hat.
Ich bin diesem Land dankbar, daß es mir die Gelegenheit gegeben hat, noch eine recht unverfälschte und lebensnahe bis mystische Sicht erlangen zu können. Diese Land ist so unglaublich bunt, anders und bereisenswert, unabhängig jedweder Beeinflussung durch Massentourismus. Die auftauchenden Randunschönheiten treten aber immer öfter in den Vordergrund. Und so hat dieses Land keinen Nachfolger für seine Unschuld.